Seefahrt und Familie
(Ein Gedicht vom Steward)

Ich lieg in meiner Koje, kann nicht schlafen, bin hellwach,
denke über den letzten Brief meiner Ehefrau nach.
Sie schrieb: ,,Immer wenn ich dich brauche, lässt du mich allein,
auch zur Geburt unserer Tochter warst du nicht daheim.“
,,Ich hasse deinen Beruf, jedoch liebe ich dich,
hättest du nur auch mal etwas mehr Zeit für mich.“
Ich schwing meine Beine aus der Koje, greif mir ‘ne Flasche Bier,
und dann denke ich, was will sie von mir.

Ich spring in meine Jeans, ich muss hier raus.
Ich muss an die Luft, sonst halt ich’s nicht aus.
Jetzt steh ich an Deck, atme mehrmals kräftig durch,
dabei beschleicht mich ganz plötzlich eine seltsame Furcht.
Vor meinen Augen ziehen längst vergessene Bilder vorbei,
denn auch meine erste Ehe brach an der Seefahrt entzwei.
So, schnell noch ‘nen Schluck aus der Flasche Bier,
und dann frag ich mich, warum bin ich nicht bei ihr.

Ich muss eine Entscheidung treffen, das weiss ich genau,
bleib ich an Land bei unserer Tochter und meiner Frau?
Oder lass ich alles wie es ist und fahr weiter von Hafen zu Hafen?
Diese Ungewissheit lässt mich bei Nacht kaum noch schlafen.
Ich schau über’s Meer und denke, dies ist doch ein Teil meines Lebens,
soll ich die Seefahrt denn wirklich aufgeben?
Noch einen hastigen Schluck aus der Flasche Bier,
ich muss mich entscheiden, dabei hilft keiner mir.

Ich schrieb ihr, in Hamburg da steige ich aus,
dann bleibe ich für immer bei euch Zuhaus.
Die Zeit kam schneller als ich es gedacht,
hoffentlich habe ich jetzt alles richtig gemacht.
Da unten steht sie, wartet auf mich schon am Kai,
Lebwohl alte Seefahrt, für mich ist’s vorbei.
Kommt Freunde, auf ein letztes Glas Bier,
dann geh ich die Gangway hinunter zu ihr.

Acht Stunden am Fließband und das jeden Tag,
die Frage erübrigt sich, ob ich das mag.
Morgens als Erstes die Stechuhr gedrückt,
ich glaub nicht das ich das durchsteh, es macht mich verrückt.
Die Riesenuhr an der Decke bestimmt den Tagesablauf,
widerspruchslos nehm ich mein Schicksal in kauf.
Zum Feierabend mit den Kollegen schnell noch ein Bier,
dann nichts wie ab nach Hause zu ihr.

...und dann das Getratsche, es ist kaum zu ertragen,
mich würd’ nur interessieren, was die über mich sagen.
Hast du schon gehört von Paul, dem haben sie richtig eins verpasst,
der sitzt jetzt auch schon vier Wochen im Knast.
... und die Sekretärin, die sich richtig in Schale schmeißt,
die ist ja auf den Sohn vom Chef so richtig heiß.
Ich geh zur Kantine, kauf mir erstmal ein Bier,
und wieder frag ich mich, was machst du eigentlich hier.

Samstags Nachmittag geh ich runter an die Elbe,
aber das ist inzwischen auch immer das selbe.
Schiffe die kommen und gehen, fahren an mir vorbei,
aber leider bin ich jetzt nicht mehr wie früher dabei.
Sehnsüchtig schau ich ihnen elbabwärts hinterher,
dabei denk ich: In ein paar Stunden sind sie auf dem Meer.
Den Kloß im Hals spül ich runter mit ‘nem Bier,
die haben es gut, nur ich sitze hier.

Neulich am Hafen traf ich den Bootsmann Pier Van Haaren,
mit dem bin ich zusammen auf meinem letzten Schiff gefahren.
Ein lustiger Holländer, immer zu Späßen bereit,
klopft mir auf die Schulter und grinste ganz breit.
Er sagte: ,,Morgen muß ich wieder mit der Goliath raus,
aber sag mal, du siehst ja gar nicht gut aus.“
,,Komm wir geh’n in die Kneipe, ich spendier dir ein Bier,
und dann erzähl mal, was ist eigentlich los mit dir.“

Ich erzähl von meinem Job, und was ich meiner Frau hab’ versprochen.
Er hat mich die ganze Zeit nicht ein einziges Mal unterbrochen.
Er langt über den Tisch, drückt mir ganz fest die Hand
,,Mein Freund, wir zwei sind nicht geschaffen für ein Leben an Land.“
,,Du musst mich entschuldigen, aber jetzt muss ich geh’n,
ich hab meinen Seesack noch im Seemannsheim steh’n.“
Ich sag: ,,Piet, bitte bleib doch, wenigstens noch auf ein Glas Bier,
du glaubst ja nicht, wie gut es tut zu reden, mit einem wie dir.“

Vor ein paar Wochen kam ich nach Hause, meine Frau öffnete die Tür,
sie sah mich ganz ernst an und sagte: ,,Ich muss reden mit dir.“
,,Du bist so verändert, so kenn ich dich nicht,
wo ist das strahlende Lächeln auf deinem Gesicht?“
,,Leuchtende Augen sieht man bei dir bloß,
nimmst du am Abend unsere Kleine auf deinen Schoß.“
,,Nun komm, setz dich hin trink erstmal ein Bier,
und dann bitte ich dich, red’ endlich mit mir.“

Nach einer Weile poltert es aus mir heraus,
ich halt diesen blöden Job in der Fabrik nicht mehr aus.
Du musst mir glauben, es ist nicht eure Schuld,
vielleicht brauchst du mit mir nur etwas mehr Geduld.
Ich bleibe an Land, gab ich dir als Versprechen,
und ich möchte dies gegebene Wort auch nicht brechen.
Bitte sei so gut und bring mir noch ein Bier,
und dann glaub mir, ich bin wirklich glücklich mit dir.

Eine Weile sah sie mich mit Tränen in den Augen an,
bis sie dann plötzlich ganz leise zu reden begann:
,,Ich ahnte es längst, du möchtest wieder auf See,
dann fahr, tut es mir dabei im Herzen auch weh.“
,,Nur bitte, mach nicht mehr so lange Reisen,
kann ich dir damit denn meine Liebe beweisen?“
,,Nun schau nicht so dumm, hol dir ruhig noch ein Bier,
ich bin deine Frau und ich halte zu dir.“

Die Gesundheitskarte verlängert, dann nichts wie hin zur Reederei,
sagen sie mal, haben sie nicht ‘nen Job als Steward für mich frei?
Schnell nach Hause, die Klamotten zusammengesucht,
für meine Frau musste es aussehen, als wär ich auf der Flucht.
Ein kurzer Abschied von Tochter und Frau, dann muss ich fort,
ich ruf mir ein Taxi, das bringt mich an Bord.
Hallo Leute, heut Abend schmeiß ich für alle drei Kisten Bier,
ich gehör wieder zu euch, ich bin wieder hier.

Das leise surren des Diesels dringt mir an mein Ohr,
für mich klingt es heut’, als sänge ein Engelchor.
Alles klar Vorn und Achtern, kommt’s aus der Nock runter an Deck,
zwei Schlepper zieh’n uns langsam von der Kaimauer weg.
Ein leichtes Rütteln geht durch’s Schiff, die Hauptmaschine springt an,
jetzt geht’s in Richtung See, jetzt geht es voran.
In meiner Kammer zieh ich mir genüßlich noch ‘ne Flasche Bier rein,
heute Abend schlaf ich endlich wieder ruhig und zufrieden ein.

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Kaohsiung!
(steward)

Damals, als ihr mich vom Helgen ins Wasser ließ't gleiten,
da hieß es, dies ist das Schiff für künftige Zeiten.
Man hielt Lobreden, gab mir einen Namen,
den sollt' ich für euch in die Welt hinaus tragen.
Was war ich naiv und noch viel zu jung,
denn ich wusste noch nichts von Kaohsiung.

Ich gab stets mein Bestes, kniete mich richtig rein,
denn ich glaubte, dann würdet ihr Stolz auf mich sein.
Hört ich die Anderen sagen, auch du kommst bald dran,
solche Gedanken ließ ich erst gar nicht an mich ran.
Für die Reederei war ich doch eine Bereicherung
also, was soll das Gequatsche von Kaohsiung.

Mein Herz war kräftig, lief gut zwanzig Meilen,
so konnt ich den meisten auf See davon eilen.
Die Ladung in meinem Bauch hat mich nie geschreckt,
was nicht rein ging, fand Platz draussen an Deck.
Es gab für mich nie eine Entschuldigung,
warum soll ich mich den fürchten vor Kaohsiung.

Vielen Seeleuten bot ich ein gemütliches Heim,
in meinen Kammern da konnten sie sicher sein.
War's auch in den Tropen manchmal ziemlich heiß,
oder saukalt bei Grönland im dicksten Packeis.
Mir war's egal, ich kam stets gut in Schwung,
was soll denn ein Schiff wie ich in Kaohsiung.

Doch auch für mich kam die Zeit, schneller als gedacht,
ich wurde seeklar für die letzte Reise gemacht.
Ein Alter wie die Rickmers, Diego oder Bleichen,
werde ich nun leider nicht mehr erreichen
Der Beschluß kam aus der Geschäftsleitung,
zum Abbruch verkauft nach Kaohsiung.

Noch einmal die Elbe hinab, an Schulau vorbei,
von dort kam heute kein letztes goodbye.
An Backbord im Nebel mußte die Kugelbake steh'n,
die hab ich doch früher immer so gerne geseh'n.
Heute verschafft sie mir keine Erleichterung,
denn ich war auf dem Wege nach Kaohsiung.

Quer durch die Nordsee, zum Englischen Kanal
die White Cliffs Of Dover sehe ich heute auch zum letzten Mal.
In der BIskaya, die so sonst stürmisch und wild,
bot mir heute ein ungewohnt friedliches Bild.
Poseidon selbst erzwang von den Wellen eine Beruhigung,
denn er wusste mein Endziel hieß Kaohsiung.

Die Affen von Gibraltar schauten hoch oben vom Felsen runter zu mir,
als wollten sie sagen, du warst ja auch schon lang nicht mehr hier.
Was hat man mich früher gehegt und gepflegt,
jetzt wird noch nicht einmal mehr die Brücke gefegt.
Auch an Deck bräuchte es mal wieder einer Grundreinigung.
Doch wozu? Es ging doch nach Kaohsiung.

Im Morgengrauen kam Port Said dann in Sicht,
doch diesmal erfreute der Anblick mich nicht.
Wie gern sah ich die Händler, die kamen in Scharen,
nur heute konnt ich ihren Anblick nicht ertragen.
Ich hoffte, sie brächten mir ein wenig Ablenkung,
doch meine Gedanken drehten sich nur noch um Kaohsiung.

In Bombay ging dann die letzte Ladung an Land,
ich kann nicht beschreiben, was ich dabei empfand.
Noch einmal wurde ich seeklar gemacht,
das letzte Mal noch auf Kurs gebracht.
Von jetzt ab, gab es nur noch eine Richtung,
immer nur ostwärts nach Kaohsiung.

Das Wetter war wie aus einem Bilderbuch,
für mich sah die glatte See aus wie ein Leichentuch.
Warum öffnet nicht die See ihren Höllenschlund,
und zieht mich hinab auf den Meeresgrund?
Dann diente mein Leib den Tieren als Behausung,
das alles wäre besser als Kaohsiung.

Am Horizont konnte man die Küste schon seh'n,
kein Mensch von euch wird mich je versteh'n.
Ich sah Schiffe, denen es genauso erging wie mir,
wir alle wußten, warum wir sind hier.
Ich sah viele Städte im ganzen Erdenrund,
doch ich hasste keine so wie Kaohsiung.

Die Lichter gingen aus, die Maschinen abgestellt,
so lagen wir hier am Ende der Welt.
Die Seeleute packten ihre Sachen und gingen an Land,
nicht einer von ihnen hat sich nochmal umgewand,
Für mich gab es keine Begnadigung,
so fand ich mein Ende in Kaohsiung!

... eine letzte kleine Notiz in einer Seefahrtszeitung,
... abgebrochen in Kaohsiung!